auf der suche nach dem geheimnis des greifbaren
In der Kunst des 20. Jahrhunderts hat die Sprache des Materials ihre größten Triumphe gefeiert. Stoff ist gleich Malerei und erst recht Skulptur - diese Gleichung war durch die Jahrzehnte zwischen Nachkriegs-Wiederaufbau und Durchtechnisierung des Alltags gültig. Bis das Konzeptive gemeinsam mit dem Filmischen - der Wiederholung nackter Wirklichkeit - den Schlussakkord der Moderne anstimmte.
Gerald Herrmanns Arbeit fällt gerade heute so augenfällig aus dem Rahmen, weil sie in der „Diktatur“ von Installation und Video-Ästhetik wieder das Greifbare zur Diskussion stellt. In allen Phasen seiner Werkentwicklung findet diese intensive Beschäftigung mit dem Strukturellen vorgefundener Materialien ihren Niederschlag.
Erst waren es die rauen Textilgitter von Gewürzsäcken, auf die Herrmann seine Akte malte, dann entdeckte er die raumzerstreuenden Reflexe von Spiegel-Splittern, aus denen er seine Bilder baute.
Kompakte, pastenähnliche, lichteinsaugende Schwärze und das filterlos Zurückgeworfene der gespiegelten Außenwelt - dieser Urkontrast auf dem Höhepunkt der expressiven Auseinandersetzung mit Stoffen steht für das Grundnaturell dieses in vieler Hinsicht rücksichtslosen Künstlers: Er spürt nicht die harmonisierenden Zwischenzonen in den Erscheinungsweisen seiner Bildelemente auf, sondern formiert sie zu einer Art ästhetischer Kriegsfront.
Gerald Herrmanns Arbeiten lassen sich nicht in herkömmliche Gattungen einordnen. Bild ist gleich Objekt und umgekehrt und mit manchen seiner Kunst-Gegenstände scheint er provokant das Kunstgewerbliche streifen zu wollen. Hinter diesem „allzu Brutalen“, „allzu Dekorativen“, „allzu Disperaten“ oder „allzu Monochromen“ steckt künstlerische Methode und Konsequenz.
„Rot ist nichts anderes als Rot“, schreit die einfarbige, mächtig gerahmte Fläche dem Betrachter entgegen. Kunstharz ist nichts anderes als Kunstharz, auch wenn ein Herzlein darinnen schwimmt. Der ironische Kampf zwischen Romantik und Plastik wird so herzzerreißend „ehrlich“ aus- und vorgetragen wie der pittoreske Zerfall von undefinierbaren Oberflächen in den jüngsten Arbeiten.
Gerald Herrmann gibt dem Stofflichen das verlorengegangene Geheimnis zurück. Im Zeitalter der Entzauberungen, der allgegenwärtigen wissenschaftlichen Erklärungen kommt das geradezu einer Heldentat gleich.
Das ganz und gar Konkrete ist diesem Künstler Aussage genug. Er sucht es in den einfachsten Materialien aus dem Schutt der Industriegesellschaft und manipuliert es so wenig wie möglich. Alles, was aus Herrmanns Laboratorium auftaucht, spricht über nichts anderes als über sich selbst. Genau diese Direktheit und Nachhaltigkeit hat so verstörende Wirkung in einem Umfeld, in dem Mischungen, Fälschungen, Klone und Ersatzreize so gut wie alles Sehen und Fühlen bestimmen.
Anton Gugg, Kulturpublizist
Salzburg, Jänner 2000